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Focus- Online - „Halbmondwahrheiten“ „Patriarchen, Paschas, Machos“ PDF Drucken
Samstag, den 21. August 2010 um 16:22 Uhr
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Focus- Online - „Halbmondwahrheiten“ „Patriarchen, Paschas, Machos“
Seite 2
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„Patriarchen, Paschas, Machos“
Freitag 20.08.2010, 17:34 · von FOCUS-Online-Autorin Sandra Zistl
Foto 2009 by Thomas Marc Jaehnel                Isabella Kroth
Isabella Kroth schildert in „Halbmondwahrheiten“ eine wenig bekannte Facette des türkischen Lebens: das Leid der Männer. Im FOCUS-Online-Interview erklärt sie, was wirklich hinter vermeintlichen Paschas steckt.

FOCUS Online:
Integration und ihr Scheitern ist ein viel diskutiertes Thema. Viele Leute sind dessen überdrüssig. Ist Ihr Buch eine Anklage gegen unsere ignorante Gesellschaft?
Isabella Kroth: Ich würde nicht sagen Anklage, aber doch ein Vorwurf, dass sehr einseitig diskutiert wird über türkischstämmige Menschen in Deutschland. Es geht vor allem um die Probleme von Frauen, die natürlich eklatant sind, aber nie um die Männer. Sie werden in eine bestimmte Schublade gesteckt, es existieren pauschale Bilder: Das sind Patriarchen, Paschas, Machos. Was dahintersteckt, wird bei der Debatte, die wir in Deutschland führen, kaum beachtet.
FOCUS Online:
Sie porträtieren zwölf türkische Männer. Welche Geschichte hat Sie besonders berührt?
Kroth:
Die Geschichte von Ismet, denn sie zeigt, wie Männer zu Opfern patriarchalischer Strukturen werden können. Ismets Vater, ein Gastarbeiter, holte ihn nach Deutschland. Er war sehr schüchtern, musste sich erst zurechtfinden. Er lernte eine junge Frau kennen, die ihn umwarb. Der Vater beobachtete das und setzte ihm irgendwann das Messer auf die Brust: Entweder du heiratest diese Frau und beendest das unehrenhafte Verhältnis oder du fliegst bei mir raus. Aus Angst stimmte Ismet zu, obwohl er das Mädchen nicht heiraten wollte. Er wurde zum Opfer seiner eigenen Vorstellung von Ehre und Moral.
FOCUS Online:
Aus welchen Milieus stammen ihre Protagonisten?
Kroth:
Alle stammen aus Berlin-Neukölln, sie sind zwischen 27 und 65 Jahre alt und eher einfache Arbeiter als Akademiker. Anhand ihrer Geschichten kann man gut erkennen, welche Folgeprobleme sich aus der Desintegration für ihre Kinder – die dritte Einwanderergeneration – ergeben.
FOCUS Online:
Die Protagonisten haben vor allem ein Problem mit ihrer Rolle als Mann. Was erwarten türkische Frauen in Deutschland von ihren Partnern?
Kroth:
Es geht nicht nur um die Vorstellungen der Frau, sondern die der ganzen Familie. Ein türkischer Mann muss stark sein, er soll Geld verdienen, auch für die Großfamilie in der Türkei, und, wie man so sagt, mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Problematisch wird es, wenn ein Mann sozusagen als Quereinsteiger nach Deutschland kommt, weil er eine türkischstämmige Frau geheiratet hat. Viele dieser „Importbräutigame“ sind bei ihrer Ankunft erst einmal orientierungslos – sie stehen vor Problemen wie Arbeitslosigkeit und Isolation. Wenn so ein Mann dann womöglich noch seine Frau nach einem Taschengeld für die U-Bahn-Karte fragen muss, fühlt er sich vollkommen als Versager.
FOCUS Online:
Welche weiteren Themen beschäftigen Ihre Protagonisten?
Kroth:
Das bestimmende Thema ist der Druck, der auf ihnen lastet und dass sie diesem nicht gerecht werden können. Das andere ist: Ich habe gemerkt, die Männer hatten ein starkes Bedürfnis danach, über das, was sie beschäftigt, zu reden. Normalerweise hört ihnen niemand zu. Sie werden immer vorverurteilt und in die Täterrolle gesteckt.
FOCUS Online:
Wie ist es Ihnen gelungen, in diese Parallelgesellschaft einzudringen und die Männer dazu zu bringen, über Gefühle zu sprechen – noch dazu als Frau aus einem anderen Kulturkreis?
Kroth: Am Anfang sprach ich mit Experten, die mir alle sagten, es würde extrem schwierig, genau deshalb: Ich bin eine Frau und aus einem anderen Kulturkreis. Dann stieß ich auf Kazim Erdogan, einen Psychologen in Berlin, der eine Selbsthilfegruppe für türkischstämmige Männer leitet und mein Türöffner wurde. Es ist vielleicht nicht so erstaunlich, dass sich diese Männer aus der Gruppe öffneten, denn sie hatten den ersten Schritt ja bereits getan. Dass sie aber mit einer deutschen, relativ jungen Journalistin sprachen und dann teilweise auch ganz erhebliche Schwächen und Fehler eingestanden haben, hat mich auch gewundert.