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Spiegel - Migranten in den Daddelhallen PDF Drucken
Dienstag, den 01. Februar 2011 um 20:17 Uhr
Berkant, 38, spielsüchtig
Von Anna Reimann

Gast in Spielhalle: Politiker ringen um schärfere Gesetze DPA 

Hunderttausende Menschen in Deutschland sind spielsüchtig. Unter ihnen sind auffällig viele Migranten. Sie fordern von der Politik endlich schärfere Kontrollen und mehr Aufklärung.


Berlin - Der Fußweg von der S-Bahn-Haltestelle Hermannstraße dauert nur zwei Minuten. Auf der Strecke liegen: "Die Arena Sportsbar", das "Café Imit", zwei Häuser weiter das "Emser Café Spiel und Spaß". Auf 200 Metern: drei Spielhallen, Wettbüros, Bistros mit Automaten.

Drinnen, im "Creativ-Centrum" im Berliner Problemkiez Neukölln, sitzen Berkant und Baris. Junge, türkischstämmige Männer, 38 und 35 Jahre alt, Väter. Berkant und Baris waren spielsüchtig. Sie wollen vor Journalisten und Politikern über diese Krankheit reden, die fast ihr Leben zerstört hat. Sie wollen warnen, und sie wollen von ihrem Ausweg erzählen, Mut machen, sich Hilfe zu holen.

Ein Jahr lang ging Berkan spielen. Jeden Tag. Sein ganzes Geld steckte der alleinerziehende Vater in die Automaten, die ratterten und leuchteten. Er wartete, gewann, verlor das Doppelte, Dreifache. Am Ende viele tausend Euro. "Ich habe dafür gesorgt, dass meine Kinder nichts zu essen hatten", sagt er. Frustriert durch die Misserfolge am Automaten, schrie er nur noch herum. "Ich habe erst aufhören können, als ich merkte, jetzt würde ich meine Kinder endgültig verlieren."

Baris, kurzgeschorene Haare, muskulös, schwarze Stoffhose, grauer Schal, sagt: "Als ich begann zu spielen, fingen auch die Probleme mit der Familie an". Seine Kinder litten, seine Frau war verzweifelt. "Ich appelliere an alle: Wenn ein Mann spielsüchtig ist, muss er sich in Therapie begeben und seine Frau auch", sagt Baris. Seit anderthalb Jahren ist der 35-Jährige "clean", nach mehr als zehn Jahren an den Automaten. Aber die Versuchung lauere überall. Wenn er eine Spielhalle sieht, dann dreht er oft um, geht einen anderen Weg. Baris muss das häufig machen.

Sucht als Flucht aus der Isolation

600 Spielhallen gibt es in Berlin. Mehr als 10.000 Spielautomaten stehen in Cafés, Dönerläden, Bistros, die meisten in sozial schwachen Stadtteilen. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Manchmal reihen sich Dutzende Glücksspielläden in einer Straße aneinander. 34.000 Spielsüchtige zeigt die Statistik in Berlin. Die Dunkelziffer dürfte ein Vielfaches betragen.

"40 Prozent aller Spielsüchtigen sind Migranten", sagt Kazim Erdogan, türkischstämmiger Psychologe aus Berlin-Neukölln. Viele von ihnen seien isoliert, wenn sie nach Deutschland kommen, suchten dann Ablenkung von ihrer Sehnsucht nach der Heimat in den Daddelhallen. Die Scheu über ihre Sucht zu sprechen sei besonders groß, es gebe kaum professionelle Ansprechpartner für Einwanderer. "Hinzu kommt, dass etwa in der türkischen Kultur Spielsüchtige in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten stehen, verachtet werden", sagt die Berliner Grünen-Abgeordnete Canan Bayram. Das verschärfe das Problem noch.

Kazim Erdogan ist Gründer der ersten türkischen Männergruppe Deutschlands. Er hat in den vergangenen Wochen einen wahren Ansturm in seiner Beratungsstelle erlebt. Dutzende Männer und Frauen baten um seine Hilfe - sie kamen alle wegen der Spielsucht, sie alle sind hoch verschuldet.

Die Situation in Berlin-Neukölln sei ein bundesweites Problem, eine gesamtgesellschaftliche Frage, so Erdogan. Millionen von Kindern und Frauen würden unter der Sucht ihrer Männer und Väter leiden. "Es sind Frauen, die sich nicht wehren, Kinder die sich schämen, weil sie nicht einen Euro haben, um an einem Wandertag teilzunehmen - ihr Vater hat das Geld verspielt." Er erzählt von einer Frau, die weinend zu ihm kam, weil ihr Mann insgesamt 170.000 Euro an Automaten verspielt hatte. Vor Weihnachten wollte die Frau zwei Fladenbrote bei dem Bäcker ihres Vertrauens kaufen. Sie bekam das Gebäck nicht. "Ich habe Angst, dass wir verhungern", sagte sie Erdogan.

Betreiber schüren die Abhängigkeit der Spieler

Es müsse mehr Kontrollen in den Spielhallen und mehr Präventionsangebote geben, so der Psychologe. Zusammen mit seiner Männergruppe drängt er deshalb die Politik zum Handeln. Die Forderungen treffen mitten in eine Debatte der Berliner Parteien über den Umgang mit der wachsenden Automatenbranche. Die rot-rote Regierungskoalition plant einen Gesetzesentwurf, nach dem der Abstand zwischen den einzelnen Spielhallen künftig mindestens einen Kilometer betragen muss. Konzessionen sollen verschärft werden, die Summe, die man innerhalb einer Stunde an einem Automaten verspielen oder gewinnen kann, soll gesenkt werden. Als erstes Bundesland hat Berlin zum 1. Januar 2001 bereits die Vergnügungssteur von elf auf 20 Prozent angehoben. "Die Spielhallen zerstören nicht nur das Stadtbild, sondern ganze Kieze und Menschen", so der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz.

Berkan sagt, er ist los von der Sucht. Er beschreibt, wie die Automatenbetreiber ihre Kunden immer weiter in die Abhängigkeit treiben. Wenn er kein Geld mehr hatte, dann gab ihm der Besitzer eines Cafés einen Kredit. Wenn er am Automaten saß und nichts zu essen hatte, nichts zu trinken, keine Zigarette - alles wurde sofort gebracht. "Nur damit ich bloß keine Sekunde von meinem Spiel ablasse", so Berkan. Zwölf- und Dreizehnjährige säßen an den Automaten, nie habe er irgendwo einen Kontrolleur gesehen, beklagt er. Dass der Staat nicht genau hinsieht, beschreiben auch andere. Eine Neuköllner Stadtteilmutter, die Familien in Schwierigkeiten unterstützt, erzählt, wie Kinder von den Automatenbetreibern aufgefordert würden vor der Tür Schmiere zu stehen, damit ihre minderjährigen Freunde drinnen unbehelligt zocken können.

Spielsucht zerstört Familien, treibt Menschen in den Abgrund - das zeigen alle diese Beispiele. "Verbale Gewalt, Demütigungen, Beschimpfungen sind dann Alltag", sagt Psychologe Erdogan.

Er hat sehr konkrete Vorschläge für den Kampf gegen die Automatensucht. Die besten Therapeuten seien Aussteiger. "Sie sprechen die Sprache der Süchtigen." Er fordert deshalb Gelder, mit denen Ex-Spieler ausgebildet werden könnten. "Wir bräuchten davon 30 in Berlin." Und vieles würde besser.

Originalbeitrag