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philip morris2

Zeit - Online - RBB-Dokumentation Hört das denn niemals auf? PDF Drucken
Sonntag, den 22. Januar 2012 um 22:37 Uhr
Warum darf die Journalistin Güner Balci keinen Film mehr über Thilo Sarrazin machen? Protokoll eines hysterischen Falls

Zehn Monate lang hat Kazim Erdogan auf ein Gespräch mit Thilo Sarrazin gewartet. Gleich am 1. September 2010, zwei Tage nach Erscheinen von Deutschland schafft sich ab, hatte er ihn vor laufender Kamera eingeladen, zusammen mit seiner türkischen Vätergruppe, die er in Neukölln gegründet hat und mit der er einmal die Woche über alles spricht, was sie bewegt. Aber Sarrazin reagierte nicht. Er ließ sich feiern, reiste durch ausverkaufte Hallen in der Republik. Bis zu diesem Tag im Juni, als Kazim Erdogan, Psychologe im Bezirksamt von Neukölln und bekanntestes Gesicht des Berlins mit Zuwanderungsgeschichte, ihn im Café Rix an der Karl-Marx-Straße begrüßte.

Eineinhalb Stunden redeten und stritten sie. Über das Buch, über Migration, Sarrazins Statistiken und über Erdogans Enttäuschung, dass Sarrazin nur Probleme benennt, aber keine Vorschläge macht. Danach liefen sie durch Neukölln, viele Menschen grüßten, einige wollten mit ihnen reden. Drei junge Frauen mit Kopftüchern stellten sich für ein Foto neben Sarrazin, und bei allem lief die Kamera der Fernsehjournalistin Güner Balci. Der Anfang eines Dialogs, arrangiert für eine Dokumentation von Balci, die ein Jahr lang in Deutschland auf Sarrazin-Spurensuche ging. Eine Dokumentation, die wohl nie gesendet werden wird.

In der vergangenen Woche löste der RBB den Produktionsvertrag für den Film auf. Kein ungewöhnlicher Vorgang im Fernsehgeschäft, doch in diesem Fall der vorläufige Höhepunkt eines grotesken Streits. Der RBB, so schrieb dieser in einer Presseerklärung, habe die Zusammenarbeit mit Güner Balci beendet, weil »entgegen eindeutigen schriftlichen Absprachen zur selben Thematik ein Magazinbeitrag für das ZDF realisiert (...) wurde, der inhaltliche Doppelungen und Überschneidungen (...) aufwies«. Balci hatte ein zehnminütiges Stück für das ZDF-Kulturmagazin aspekte produziert, das Ende Juli lief und in dem sie an Thilo Sarrazins Seite durch Kreuzberg spazierte. Damit begann das große öffentliche Gezeter. Denn anders als in Neukölln war die Mischung Sarrazin und Kreuzberg eine explosive.

Sarrazin eckte an, im Multikulti-Herzen des Landes. Erst diskutierte er mit Obst- und Gemüsehändlern, er: mit verschränkten Armen, sie: wild gestikulierend. Als ein Obsthändler beide Hände auf die Brust legte und sagte: »Sie machen unser Herz kaputt«, entgegnete er: »Nein, Sie müssen ja sehen, was ich sage. (...) Und das, was ich sage, ist, dass es nicht in Ordnung ist, dass ein sehr großer Teil der Türken und Araber letztlich vom Staat lebt.« Kein Verständnis füreinander. Auf beiden Seiten. Die Suche nach dem Dialog ging weiter in einem türkischen Restaurant. Sie waren vorangekündigt, aber der Wirt bediente sie nicht, weil vor der Tür ein junges Paar gegen den Gast meuterte. Sarrazin beschimpfte den Mann von draußen als »ganz widerlichen Linksfaschisten« und fuhr mit Balci zum nächsten Termin, zur alevitischen Gemeinde. Auch da Proteste, auch da wurden sie nicht empfangen. Sarrazin schüttelte ein paar Hände, stieg dann ins Auto mit getönten Scheiben.

Eine Woche vor dem Sendetermin war ein Artikel von ihm in der Welt am Sonntag erschienen. Die Überschrift: Aus Kreuzberg verjagt. Güner Balci echauffierte sich ebenfalls in der Welt und titelte: Kreuzberg schafft sich ab. Die taz schrieb, Sarrazin sei eben gern ein öffentliches Opfer und Balci seit Jahren mit tendenziöser Berichterstattung erfolgreich. Die Welt traf sich mit Necla Kelek und Monika Maron in Marons Schöneberger Altbauwohnung zu »Kirschsaft von Früchten aus eigenem Garten«; sie empörten sich gemeinsam über Kreuzberg und über den Vorwurf, Sarrazin habe den geistigen Boden für Taten wie die in Oslo bereitet. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, schrieb, es sei wirklich mehr als peinlich, einen solch vorhersehbaren Eklat zu inszenieren, worauf Henryk M. Broder wutschnaubend einen Preis des Deutschen Kulturrates, den die Sendung Entweder Broder – Die Deutschland-Safari erhalten hatte, öffentlich zurückgab, obwohl er der zuständigen Fernsehredaktion und nicht ihm überreicht worden war.

Die nächste Volte folgte, als der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, den Balci für ihre RBB-Dokumentation interviewt hatte, einen Anruf von ihrer Produktionsfirma erhielt. Eine Katastrophe sei passiert, sagten sie. Die Filme seien gestohlen worden, sie müssten noch mal kommen, nur diesmal ohne Balci. So schrieb es Schirrmacher in der FAZ. Der Diebstahl aber war eine Notlüge. Die Produktionsfirma ist blamiert, Balci darf wegen des aspekte-Beitrags nicht weitermachen, der RBB diskutiert darüber, wie eine weitere Aufarbeitung der Sarrazin-Debatte aussehen könnte, und Thilo Sarrazin selbst, obwohl er sich zum ersten Mal dazu durchgerungen hat, zu den Menschen zu gehen, über die er mit seinen Statistiken urteilt, wird zur reinen Chiffre für eine Gesellschaft, in der sich Toleranz schnell aufbraucht.

Wie eine logische Konsequenz scheint es da, dass der Dialog, zu dem Balci die Welten bringen wollte, zwar stattgefunden hat, aber nicht ausgestrahlt wird. »Die Menschen auf der Straße«, sagt Erdogan, »werden langsam nervös und fragen mich: Was soll diese Scheiße? Haben wir nicht andere Probleme, die wir gemeinsam lösen müssen?« Er will das mit Sarrazin besprechen, Anfang September. Da hat er zugesagt, zur türkischen Vätergruppe zu kommen. Ohne Kameras.
Originalbeitrag