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Die Welt - Warum diese Grausamkeit PDF Drucken

Zwei Freunde werden verdächtigt, eine 19-jährige Schwangere lebendig verbrannt zu haben. Die Tat soll "minutiös geplant" gewesen sein. Schnell ist von "Ehrenmord" die Rede. Doch die kaltblütige Brutalität erklärt das nicht

Schlag die Schlampe!" Es gibt da dieses Video, das immer noch online ist, bei YouTube, und das jetzt als Indiz dafür herhalten soll, dass Eren T. und Daniel M. (beide 19) das Potenzial für einen Mord bereits in sich trugen. "Schon damals hätte man sie wegsperren sollen", kommentiert ein User den etwa fünf Jahre alten Film.

"Hit the bitch!" ("Schlag die Schlampe!") ist über ein paar wackelige Aufnahmen geschrieben, auf denen zwei Jungen so tun, als würden sie sich prügeln. Sie ohrfeigen sich in Zeitlupe, fallen auf den Boden, rollen übereinander her. Im Hintergrund läuft der Titelsong von "Rocky". Der schwarzhaarige Eren zieht seinen rotblonden Freund Daniel am Ohr. Sie lachen. Eine harmlose Rauferei, könnte man meinen. Doch das ist nicht mehr so einfach. Rückblickend wird nun viel hineininterpretiert in alles, was über die beiden bekannt wird.

Die Freunde sollen vergangene Woche in einem Waldstück in Berlin ein hochschwangeres Mädchen ermordet haben. Die 19-jährige Maria P. stand kurz vor der Entbindung. Das Baby in ihrem Bauch war von Eren T. Er wollte das Kind nicht. Seither überschlagen sich die Berichte mit immer neuen Vermutungen über die beiden Hauptverdächtigen. Denn die Tat war verstörend grausam. Wie grausam, das wurde im Laufe der Woche klar, als immer mehr Einzelheiten zum Hergang bekannt wurden.

So sollen die jungen Männer Maria am Donnerstagabend vor einer Woche in einem Mietwagen abgeholt haben. Ob Eren seine Ex-Freundin mit der Bitte um eine Aussprache in den Wagen lockte oder die beiden Gewalt anwendeten, ist unklar. Im Auto hatten sie einen Schlagstock, ein Brotmesser und einen Kanister Benzin verstaut. Sie brachten Maria in ein entlegenes Birkenwäldchen im Südosten Berlins. Dort soll Eren seiner Exfreundin zunächst den Schlagstock auf den Kopf gehauen, ihr dann mit dem Messer zweimal in den Unterleib gestochen haben, während Daniel sie von hinten festhielt. Maria war laut Obduktionsbericht bei Bewusstsein, als sie mit Benzin überschüttet und angezündet wurde. Sie lief noch ein paar Schritte in den Wald hinein, bevor sie endgültig zusammenbrach. Maria ist lebendig verbrannt.

Eines ist sicher, im Affekt geschah dieser Mord nicht. Die Tat wurde "minutiös geplant", sagt die Staatsanwaltschaft. Sie hätten schon einiges erlebt, sagen die Ermittler, aber dieser Fall sei an Grausamkeit kaum zu überbieten.

"Ehrenmord." Das Wort fiel reflexartig, als bekannt wurde, dass Eren T. türkischstämmig ist. Ein Pegida-Organisator schrieb auf Facebook, Maria hätte wissen müssen, auf was sie sich da einlässt. Tenor: Diese Zuwanderer sind alle gleich. "Türkischer Junge tötet deutsches Mädchen" – darauf reduzieren viele den Fall. Aber selbst wenn es sich um einen "Ehrenmord" handeln sollte, erklärt das noch nicht diese Brutalität.

Matthias Lammel wird oft von Staatsanwälten und Gerichten zu Hilfe gerufen. In seinen 35 Jahren als psychiatrischer Sachverständiger in Berlin habe er so ziemlich alles gesehen. Er könne verstehen, dass sich viele eine Antwort darauf wünschen, wie es zu so einer Tat kommen konnte. "Das Schlagwort Ehrenmord befriedigt scheinbar das Erklärungsbedürfnis", sagt Lammel. "Aber ich warne vor Klischees." Lerne man die Hintergründe der Taten kennen, sehe die Realität oft anders aus. Der Fall deute auf ein hohes Maß an Aggressionsbereitschaft. Um herauszufinden, woher das komme, müsse man sich Intelligenz, Persönlichkeitsentwicklung und die Lebenssituation der Verdächtigen anschauen.

Berlin-Neukölln. In einer ruhigen Seitenstraße mit holprigem Pflaster wohnt die Familie von Eren T., in Berlins Problembezirk, der so oft mit hoher Kriminalität und noch höherer Arbeitslosigkeit verbunden wird. Es ist ein gepflegter Altbau, in dem Eren T. bis zu seiner Festnahme gelebt hat. Eine junge Frau öffnet die Tür im ersten Stock. Sie sieht müde aus. Im Flur stehen Schuhe, drinnen wird durcheinandergesprochen. "Die Familie möchte nicht reden", sagt sie. "Bitte haben Sie Verständnis." Der Schock sei noch zu groß. Vor dem Haus holpern Kinderwagen übers Pflaster. Schräg gegenüber ist eine Kita, nebenan ein freier Kinderladen.

"Das Kind war Erens Mordmotiv", sagt Martin Steltner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Im Umfeld seiner Familie habe es Personen gegeben, bei denen das Baby unerwünscht war. Das sagen auch Freunde von Maria. Sie melden sich über Facebook, erzählen von ihrer Beziehung zu Eren. Die beiden lernten sich demnach im Herbst 2012 im Internet kennen. Wie lange ihre Liebe hielt, kann niemand genau sagen, Eren sei mal da, dann wieder verschwunden gewesen. Im vergangenen Sommer hätten sie sich dann endgültig getrennt. Eren wollte offenbar nicht Vater werden.

"Dilara", so wollte Maria ihre Tochter nennen, die in wenigen Tagen geboren worden wäre. Im Türkischen bedeutet das "die das Herz Erfreuende". Maria soll sich dem Islam zugewandt haben, sagen Freunde. Zuletzt habe sie meist ein Kopftuch getragen. Doch die Türkei hatte sie schon interessiert, bevor sie Eren kennenlernte. Ihr Vater starb, als sie noch klein war. Ihre Mutter heiratete erneut, einen Mann aus Südostanatolien, da war Maria neun Jahre alt. Gaziantep, seine Heimatstadt, gab Maria als ihren Geburtsort bei Facebook an. Sie schwärmte für den Fußballclub Galatasaray. Auf ihrem Profil hat sie Fotos von orientalischen Hochzeiten hochgeladen, von Frauen mit Hennaschmuck – und viele Bilder von Babys. Maria wollte Konditorin werden, besuchte eine Berufsschule für Gastgewerbe. Wegen ihrer Schwangerschaft hatte sie die Ausbildung bis zum Sommer 2015 ausgesetzt.

Eren habe sich zuerst auf das Baby gefreut, will eine junge Frau wissen, die behauptet, mit Maria aufgewachsen zu sein. Doch seinen Eltern habe die Schwangerschaft nicht gepasst, weil es ein uneheliches Kind geworden wäre. Sie hätten Maria Geld für eine Abtreibung geboten. Dann habe auch Eren darauf gedrungen, dass Maria die Schwangerschaft abbricht. Sie weigerte sich und freute sich auf ihr Baby. Kurz vor ihrem Tod soll sie zu ihrer Familie gesagt haben, sie fühle sich von Eren bedroht. Offenbar hatte sie ihn beim Jugendamt als Vater angegeben. Eren habe kurz vor der Tat einen Brief vom Amt erhalten, heißt es bei der Polizei. War das der Auslöser?

"Eren muss unter massivem Druck gestanden haben", sagt Kazim Erdogan. Der 61-Jährige ist gebürtiger Türke und Psychologe. Er hat den Verein "Aufbruch Neukölln" gegründet, eine Selbsthilfegruppe für türkischstämmige Väter. Jeden Montagabend tauschen sich dort Männer über Themen wie Integration und Toleranz, Ehe, Familie, Erziehung und Sexualität aus. Der Verein liegt gegenüber von Erens Zuhause, nur ein paar Häuser weiter, auf der anderen Straßenseite. Ein Zufall – und ein tragisches Detail. Eren hat nie den Weg über die Straße gefunden. Erdogan kennt ihn und seine Familie nicht, über den Fall hat er selbst nur in der Zeitung gelesen.

Er hätte Eren vielleicht helfen können, sagt er, betont aber auch, dass er nur mutmaßen kann, was in ihm vorgegangen sein könnte. Zu ihm kommen viele junge Männer aus türkischen Familien, mit Problemen, die auch Eren umgetrieben haben könnten. Männer, die nie gelernt haben, sich gegenüber ihren Eltern durchzusetzen. Die fürchten, verstoßen zu werden. Weil ihre Eltern, wenn sie streng muslimisch sind, ein uneheliches Kind nicht akzeptieren. Erdogan bietet sich in solchen Fällen als Vermittler an, spricht mit den Eltern. Er hinterfragt den Ehrbegriff der Männer. "Ich mache ihnen klar, dass Gewalt niemals eine Lösung ist", sagt er. Es könne sein, dass Schamgefühl und Angst eine Rolle gespielt haben. Dass Eren möglicherweise den familiären Druck nicht mehr ausgehalten habe. Und ihm in dieser Situation die Sicherungen durchgebrannt seien. Das Ausmaß an Brutalität, mit der Maria getötet wurde, ist aber auch für Erdogan nicht zu begreifen.

Später ist ein Angehöriger von Eren doch bereit, Fragen am Telefon zu beantworten. Er sagt, er sei Erens Onkel und zeichnet das Bild eines ruhigen, klugen Jungen. Eren sei anständig und gescheit gewesen, nicht einen Tag habe er in der Schule gefehlt. Demnach hat er die mittlere Reife gemacht, im Anschluss eine Lehre als Metallbauer "mit einem sehr guten Mittelzeugnis". Dann brach er die Ausbildung ab. Schweißen sei nicht so sein Ding gewesen, sagt der Onkel. Eren habe etwas mit Köpfchen machen wollen, mit Verantwortung. "Sein Traumberuf war Polizist." Er habe eine Bewerbung geschrieben, die sei aber an der Sportprüfung gescheitert. Die Polizei will sich dazu nicht äußern. Die Behauptung, die Familie habe Maria Geld für eine Abtreibung geboten, kommentiert der Onkel mit: "So ein Schwachsinn."

Ein ruhiger, kluger Junge. Das ist offenbar auch der erste Eindruck der Ermittler. Eren habe "ziemlich cool" gewirkt, heißt es. Freitagnacht vor einer Woche, wenige Stunden, nachdem Maria ermordet wurde, ging er in eine Polizeiwache in der Nachbarschaft, um seine Exfreundin als vermisst zu melden. Gleichzeitig lenkte er den Verdacht auf seinen Freund. "Daniel wollte schon immer mal jemanden brennen sehen", so zitieren Ermittler Eren. Woher konnte er zu diesem Zeitpunkt gewusst haben, dass Maria verbrannt war? Er verwickelte sich so sehr in Widersprüche, dass die Polizei ihn gleich dabehielt. Knapp fünf Stunden später entdeckten Spaziergänger Marias Leiche im Wald. Am Samstag nahmen die Ermittler Daniel fest. Die beiden sitzen nun in Untersuchungshaft. Ihnen wird gemeinschaftlicher Mord mit Schwangerschaftsabbruch vorgeworfen. Nach dem Jugendstrafrecht drohen ihnen 15 Jahre Gefängnis, nach Erwachsenenrecht lebenslänglich. Bis zum Alter von 21 Jahren liegt es im Ermessen des Richters, welches Recht er anwendet. Eren schweigt. Daniel hat ein Teilgeständnis abgelegt.

"Mein Baby". Es gibt da noch ein anderes Video, das Daniel bei YouTube hochgeladen hat: Aufnahmen von sich und seiner Freundin, umrandet mit Herzen und Kerzen. "jetzt nächstest jahr am 05. Januar 2012 da is unser großes glück unser traum da", steht in schwarzen Buchstaben auf rotem Grund. Dazu singt Enrique Iglesias "I can be your hero".

Daniel ist Vater eines dreijährigen Jungen. Seine Freundin ist wieder schwanger. Sie hat ihr Facebookprofil gelöscht, reagiert nicht auf Anfragen. Ihre Familie meldet sich am Telefon. "Das Mädchen steht unter Schock", erklärt ihr Ziehvater Gerd D. Weil sie nicht mit ihm verheiratet sei, gebe die Polizei ihr keine Auskunft zu Daniel. "Sie hat das selbst nur aus der Zeitung erfahren." Zum Freund ihrer Tochter können die Eltern nicht viel sagen. Sie wohnt noch zu Hause, Daniel bei seiner Mutter. "Bei uns hat er sich benommen, war immer anständig", sagt Gerd D. Er sei ein liebevoller Vater gewesen, mit seinem Sohn in den Zoo gegangen, im Sommer baden. "Mit Kindern kann er super umgehen", ruft die Mutter der Freundin im Hintergrund. Dass er geholfen haben soll, eine Schwangere zu töten, können sie sich nicht vorstellen.

Daniel und Eren sind zusammen zur Schule gegangen. Im Gegensatz zu Eren hat Daniel sie offenbar nicht beendet. Eine Bekannte sagt, sie habe mit ihm 2012 ein Bildungszentrum besucht, das Schüler auf die Prüfungen für den erweiterten Hauptschulabschluss vorbereitet. "Der Daniel war der Klassenclown", sagt sie. Er sei immer laut gewesen, ständig aus dem Unterricht geflogen – wenn er mal da war. An den Prüfungen habe er dann nicht mehr teilgenommen. Mit Gelegenheitsjobs hielt er sich über Wasser. Der Polizei ist er zuvor schon aufgefallen durch Diebstähle, auch wegen Körperverletzung. Die meisten Verfahren wurden eingestellt. Eren sei er intellektuell unterlegen gewesen, sagt Martin Steltner. "Daniel hört auf das, was Eren sagt", sagen Ermittler. Bei der Festnahme sei er "weinend zusammengebrochen".

Eren der coole Tonangeber, Daniel der dumme Mitläufer? Das ist der erste Eindruck. Doch die Frage nach dem Warum, nach der Grausamkeit bleibt unbeantwortet. Gutachter sollen helfen, sie zu finden. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat mehrere Sachverständige angefragt, in der kommenden Woche soll ein Psychiater die beiden erstmals treffen.

Mord an schwangeren Frauen ist selten. Es gibt daher nur wenig ähnliche Fälle: etwa den von Jolin Smith. Im April 2014 wurde der Deutschafghane Isa S. zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er seine schwangere Freundin getötet hatte. Isa S. wollte, dass seine 22-jährige Freundin das Kind abtreibt. Doch die Rechtsanwaltsgehilfin wollte das Kind bekommen und es zur Not allein großziehen. Doch der zur Tatzeit 23-jährige Isa S. lauerte Jolin Smith auf und erstach sie. Er wollte verhindern, dass seine streng muslimischen Eltern von dem unehelich gezeugten Kind erfahren.

Auch im Fall der hochschwangeren Maike Thiel, die im Sommer 1997 in Henningsdorf bei Berlin spurlos verschwand, gingen die Richter davon aus, dass sie sterben musste, weil sie ein Kind erwartete. Im vergangenen Sommer hat das Landgericht Neuruppin den mittlerweile 35-jährigen Exfreund der jungen Frau und dessen 61-jährige Mutter wegen Mordes und Anstiftung zum Mord zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Mutter des damals 18-jährigen Kindsvaters soll ihren Sohn unter Druck gesetzt und zu der Tat überredet haben, um Unterhaltszahlungen zu vermeiden. Weder Opfer noch Täter waren Muslime.

Es könne Dutzende Gründe für ein Tötungsdelikt geben, sagt Gutachter Lammel noch. Er ist sich sicher, dass auch der Fall Maria P. letztlich aus dem Beziehungsgefüge heraus zu erklären sein wird. Aber die Tat verstehen, im Sinne von nachvollziehen, das könne man nicht.

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