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TÜRKISCHE MÄNNER - Spiegel Online PDF Drucken
Donnerstag, den 21. Mai 2009 um 16:55 Uhr
"Ein Ehrenmann schlägt seine Frau nicht"
Der Psychologe Kazim Erdogan hat in Berlin die erste türkische Männergruppe gegründet. Dort lernen Machos, bessere Väter, Gatten und Freunde zu werden. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview spricht der 55-Jährige über die Last arrangierter Ehen, gekränkten Stolz und den Wandel des Ehrbegriffs.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben vor zweieinhalb Jahren die erste Vätergruppe gegründet, inzwischen gibt es davon acht. Was führt die türkischen Männer zu Ihnen, Herr Erdogan?
Kazim Erdogan: Eine Reihe von Niederlagen. Wenn sie zu mir kommen, sind sie meist ziemlich am Ende. Sie haben Trennungen hinter sich, Scheidungen, Schlammschlachten vor Gericht. Sie sind nervös und durcheinander. Meist haben sie durch Freunde und Bekannte von der Gruppe gehört. Zu Anfang musste ich noch durch die Kaffeehäuser ziehen, um Teilnehmer zu finden. Das ist nun nicht mehr nötig.
SPIEGEL ONLINE: Wie erklären Sie sich, dass heute viele türkische Ehen kaputtgehen? Die Türken in Deutschland gelten doch immer noch als eher traditionell.
ZUR PERSON

DDP
Kazim Erdogan studierte Psychologie in West- Berlin. Heute arbeitet er für die Psychosozialen Dienste des Bezirksamtes Neukölln. Der 55- Jährige engagiert sich ehrenamtlich in zahlreichen Gruppen. Vor zweieinhalb Jahren hat er in Berlin die erste türkische Vätergruppe ins Leben gerufen.
Erdogan: Viele Paare kennen sich kaum, wenn sie heiraten. Oft haben die Eltern die Ehe arrangiert, Importbräute oder Importbräutigame kommen manchmal erst kurz vor der Hochzeit nach Deutschland. Wenn man sich dann näher kennenlernt, merkt man schnell, dass es nicht passt. Nach ein paar Jahren zerbricht dann die Beziehung, meist gibt es ein paar Kinder, die darunter leiden.
SPIEGEL ONLINE: Wie gehen die Männer damit um?
Erdogan: Die meisten drehen erst einmal durch, wenn ihre Frau sie verlässt. In der Regel gehen ja die Frauen, und die Männer fallen aus allen Wolken. Dabei hätten sie eigentlich mit einem Ende der Beziehung rechnen müssen.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Erdogan: Viele überfordern ihre Frauen total. Sie soll waschen, kochen, putzen und bitte alle Befehle befolgen. Das machen heute aber immer weniger Frauen mit, sie sind selbstbewusster geworden, sehen in Zeitungen und Fernsehen, dass es auch anders geht.
SPIEGEL ONLINE: Die Frauen sind schon in der Gegenwart angekommen, während die Männer noch in der Vergangenheit leben?


Erdogan: Die Männer müssen erkennen, dass das 21. Jahrhundert angebrochen ist. Sie müssen lernen, dass sie weder mit ihren Frauen noch mit ihren Kindern so umgehen können wie ihre Vorfahren. Das versuche ich ihnen in der Vätergruppe beizubringen.
SPIEGEL ONLINE: Welche Fehler passieren denn in der Kindererziehung?
Erdogan: Sie stellen Regeln auf und bestrafen ihre Kinder - aber sie sprechen kaum mit ihnen. Manche wissen nicht einmal den Namen der Schule. Die sagen, mein Kind geht in einen Backsteinbau. In der modernen Welt aber müssen sie in der Kindererziehung am Ball bleiben, sie müssen wissen, wie es mit den Lehrern und Freunden läuft. In Neukölln lauern so viele Gefahren: Drogen, Gangs, falsche Freunde.
SPIEGEL ONLINE: Darum kümmern sich aber nur die Frauen?
Erdogan: Sie sind in den traditionellen, türkischen Familien für das tägliche Leben zuständig. Wenn dann die Ehen auseinandergehen, ziehen sie die Kinder meist alleine groß, und die Väter stehlen sich aus der Verantwortung. Gerade türkische Jungs brauchen aber ihre Väter, um zu lernen, dass es Grenzen gibt, die auch eingehalten werden müssen.
SPIEGEL ONLINE: Sie sagten eben "meistens wachsen die Kinder bei den Frauen auf" - gibt es auch alleinerziehende Väter?
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Neukölln Sorgerecht Türken in Deutschland Erziehung Ehescheidung
zu SPIEGEL WISSEN
Erdogan: Wir haben einige Väter in der Gruppe, die ihre zwei, drei Kinder alleine groß ziehen. Für die ist es am Anfang doppelt hart. Immerhin helfen oft die Großeltern.
SPIEGEL ONLINE: Spielen Ehre und Gewalt in diesen Gesprächen eine Rolle?
Erdogan: Wir reden darüber fast jeden Montag. Wir haben am Anfang unserer Sitzung immer eine Viertelstunde, in der jemand ein Thema vorschlagen kann. Oft spricht dann ein Mann irgendeine Gewalttat im Bekanntenkreis an, manche schildern auch eigene Aggressionen. Es ist für sie nicht einfach, ihre Frauen mit neuen Partnern zu sehen. Wir versuchen dann gemeinsam, denjenigen zu beruhigen. Und ich sage ihm dann immer, dass seine Ehre nicht von der Treue seiner Frau oder der Keuschheit seiner Tochter abhängt, sondern ganz allein von seinem Verhalten. Ein Ehrenmann rastet nicht aus und schlägt auf seine Frau ein.
SPIEGEL ONLINE: Es ist ein gängiges Vorurteil, dass türkische Männer sich nicht im Griff haben.

Erdogan: Damit haben die Väter immer zu kämpfen. Auch in den Behörden herrscht das Bild des brutalen, türkischen Mannes vor. Mit diesen Klischees wird man nicht leicht fertig. Wenn es zum Beispiel in einem Sorgerechtsstreit den Verdacht gibt, der Mann schlägt, sind die Kinder schnell weg. Viele Sachbearbeiter schenken den Geschichten der Frauen eher Glauben als denen der Männer.
SPIEGEL ONLINE: Welche Erfolge können Sie nach zweieinhalb Jahren Vätergruppe verzeichnen?
Erdogan: Die Männer sind offener geworden, viel offener. Türkische Männer reden sonst nie über ihre Probleme, Ehekrisen oder Scheidungen dürfen in traditionellen Familien niemals gegenüber Freunden oder Bekannten thematisiert werden. Sie sind auch ruhiger geworden, haben Tricks und Kniffe gelernt, sich selbst in schwierigen Situationen im Griff zu behalten. Viele Männer erzählen mir, dass sie sich jetzt mit ihren Kindern und Enkelkindern besser verstehen als früher, auch mit der Ehefrau laufe es besser. Manche haben jetzt eigene Vätergruppen gegründet, um diese Erfahrungen weiterzugeben.
Das Interview führte Caroline Schmidt