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Hier, in der Köllnischen Heide, wurde Maria P. erst mit einem Messer verletzt und dann verbrannt. Foto: Berliner Zeitung/Andreas Kopietz (2)
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In einem Clip vergöttert er bei gefühliger Musik seine neugeborene Nichte, in einem anderen geriert er sich als harter Mann mit Schlagring an der Faust. Auch ein Video, das ihn mit seinem Kumpel Eren T. zeigt, hat er ins Netz gestellt. Darin simulieren die beiden damals 15-Jährigen einen Kampf. Der Titel des Films lautet „Hit the Bitch“ (Schlag die Schlampe).
Maria selbst verändert sich über die Jahre, färbt sich die Haare schwarz, hüllt sich in bunte Tücher, trägt orientalischen Schmuck. Als Arbeitsstelle gibt sie den Fußballklub Galatasaray an, als Geburtsort Gaziantep, die Provinzhauptstadt von Südostanatolien. Dabei wurde sie wie auch ihre beiden Brüder in Berlin geboren, als Kind deutscher Eltern.
Ihr Vater stirbt, als sie noch klein ist, ihre Mutter heiratet später einen Mann aus der Türkei. Hat ihr Stiefvater ihre Liebe zum Orient entfacht? Gaziantep ist die Stadt, aus der er stammt. Seine Familie dort scheint für Maria ein neues Zuhause geworden zu sein. Es gibt Fotos, die sie mit ihren Cousins und Cousinen zeigen, es sieht so aus, als habe sie dorthin gehört. Ihr Stiefvater, der in Berlin einen Dönerimbiss betreibt, öffnet Maria eine Tür in eine neue Welt.
Ihre äußere Verwandlung findet wohl statt, als sie im September 2012 Eren T. kennenlernt. Hans-Martin Gässler, der Leiter der Fritz-Reuter-Schule in Hohenschönhausen, die Maria bis zur 10. Klasse besucht, beschreibt sie als normales, fröhliches Mädchen. Die Fotos, die er jetzt von ihr in den Zeitungen gesehen hat, zeigen eine neue Maria. „Sie hatte eine andere Erscheinung, als sie noch bei uns war“, sagt Gässler.
Erst Kussmund, dann Schleier
Es kann sein, dass Maria sich irgendwann selbst wie eine Türkin fühlt. Aber die Familie ihres türkischstämmigen Freundes sieht das offenbar anders, sie ist nicht glücklich darüber, dass Eren sich mit Maria einlässt. Für sie bleibt das Mädchen eine ungläubige Deutsche, eine von der anderen Seite.
Seitdem Maria mit Eren zusammen ist, sehen die Fotos, die sie bei Facebook postet, immer züchtiger aus. Posiert sie anfangs noch mit Kussmund und offenen Haaren, verhüllt sie sich später mit einem bunten Schleier, bedeckt kokett ihren Mund mit der Hand, auf der Henna-Tattoos zu sehen sind, wie sie der Braut traditionell bei der orientalischen Hochzeit auf die Haut gemalt werden. Nur ihre graugrünen Augen verraten sie. Hatte sie gehofft, ihren Freund behalten zu können, wenn sie wie ein braves, türkisches Mädchen aussieht?
Auf jeden Fall sehnt sie sich danach, all das zu überwinden, was sie von ihrem Freund trennen könnte. Sie postet einen Satz von Martin Luther King: „Wir haben gelernt, wie die Vögel zu fliegen und wie die Fische zu schwimmen. Aber wir haben die einfache Kunst nicht erlernt, als Brüder zu leben.“ Es klingt so, als rufe sie zur Versöhnung der Religionen auf. Sie postet das Foto einer Männerhand, auf der ein Halbmond-Tattoo zu sehen ist und die eine vom christlichen Kreuz gezeichnete Frauenhand ergreift. Letztlich geht es ihr aber wohl vor allem um die eine Versöhnung: die mit der Familie ihres Freundes, die sie nicht akzeptieren will.
Um Maria getrauert wird auch in der Brillat-Savarin-Schule am Rand von Hohenschönhausen. Der Bus aus dem Zentrum fährt auf dem Weg hierher vorbei an Feldern und Alleen, neben der Haltestelle liegt ein Skatepark aus Beton, dahinter gedrungene Plattenbauten. Hier ging Maria zur Schule, Oberstufenzentrum Gastgewerbe, Abteilung III, auf dem Stundenplan stehen die Fächer „Arbeiten in der Küche“, „Arbeiten im Service“, „Warenwirtschaft und Magazin“. Im September letzten Jahres unterbrach Maria P. die Schule, sie wollte sich erst mal um ihr Kind kümmern, dann wieder einsteigen. Das erzählt die Leiterin der Abteilung, Kerstin Zenker, die eigentlich nicht mit Journalisten sprechen darf. Sie schließt dann doch noch den Raum auf, in dem die Schüler um Maria P. trauern können.
Ihre Klassenkameraden haben einen Rahmen mit ihrem Bild aufgestellt, rechts und links daneben gelbe und weiße Rosen, davor ein Teelicht im roten Glas. Auf einer Karte können die Schüler eine Nachricht hinterlassen, Kerstin Zenker will sie dann an Marias Familie schicken. Erst ein paar wenige haben unterschrieben. Es dauert, sagt Kerstin Zenker, bis die Trauer durchkommen kann. Was schreibt man den Angehörigen nach so einem Tod? „Wir lieben dich!“, steht in runden Lettern mit Füllfederhalter geschrieben.
Der Druck der Familie
Der größte Kranz in dem Wald, in dem Maria ermordet wurde, kommt vom Verein „Aufbruch Neukölln“, der türkischen Männern hilft, wenn sie Beziehungsstress oder andere Krisen haben. Man hätte Eren T. gewünscht, dass er diesen Verein gekannt hätte. Da hätte er dann womöglich Kazim Erdogan getroffen.
Der Psychologe hat ein feines, kluges Gesicht. Er hat bei seiner Arbeit mit zerrütteten Familien einiges kennengelernt, aber die Grausamkeit, mit der Maria P. getötet wurde, ist auch für ihn nur schwer zu begreifen. „Warum hat sich die Familie keine Hilfe geholt?“, fragt er. „Hat das Umfeld nichts mitbekommen? Die Schule? Freunde?“
Es sei zumindest vorstellbar, sagt Erdogan, dass der familiäre Druck auf Eren T. derart groß war, dass ihm die Sicherungen durchbrannten. Es gäbe junge, türkischstämmige Männer, die nie lernen, den Eltern ihre Meinung zu sagen, ihnen gar zu widersprechen. Diese Männer seien bisweilen verunsichert, weil sie sich nicht als Türken und nicht als Deutsche fühlen, sondern höchstens als Versager. Diese Leere füllen sie dann mit Begriffen wie Ehre und mit Gewalt. Es seien die gleichen Mechanismen, die junge Menschen in den Dschihad ziehen lassen.
Maria spricht Türkisch, soll sogar zum Islam konvertiert sein, will eine gute Ehefrau und Mutter werden. Die Familie ihres Freundes akzeptiert sie trotzdem nicht. Die Beziehung der beiden wird dadurch nicht einfacher. Eine von Marias Freundinnen sagt, Maria sei sehr verliebt gewesen, aber Eren T. habe sich nie richtig entschieden, er sei mal da gewesen und mal nicht. Als er erfährt, dass sie schwanger ist, bleibt er ganz weg.
Im September 2014, Maria ist im fünften Monat schwanger, schreibt sie auf Facebook: „Keiner macht gerne den ersten Schritt, solange die Enttäuschung in seinem Herzen sitzt.“
Ihre Tochter, die in diesen Tagen zur Welt gekommen wäre, sollte Dilara heißen. Der Name kommt aus dem Persischen. Dil ist das Herz. Ar ist das Feuer.
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