Dschihadisten auf der Suche nach jugendlichem Kanonenfutter für Syrien sind in Berlin ein zunehmendes Problem. Das registriert der Verfassungsschutz. Beobachtet wird dies aber auch von besorgten Eltern, beispielsweise den Vätern von Aufbruch Neukölln e.V. Auf vielen verschiedenen Ebenen macht dieser Verein gerade Männern mit türkischen Wurzeln Hilfsangebote.
Einmal pro Woche kommt die Vätergruppe hier zusammen. Dieses Mal ist auch ein junger Mann dabei. Der 26-jährige Tarkan macht sich so seine Gedanken, beispielsweise zum Attentat auf die Satirezeitung Charlie Hebdo. Er findet es schrecklich, dass so viele Menschen ums Leben gekommen sind, weil bestimmte Leute ein Meinungs- und Glaubensmonopol für sich beanspruchen. Doch er ergänzt: "Ich finde es auch nicht gut, dass man Menschen provoziert. Wenn man die zweitgrößte Gemeinschaft auf der Welt auf die Schippe nimmt, dann kann es passieren, dass Menschen, die nicht so gut gesinnt sind, solche Taten verüben."
Die Wut und die Aggression seien auch durch die Ausgrenzungserfahrung verursacht, die Jugendliche machen, sagt Tarkan: "Man weiß ja, dass 57 Prozent der Deutschen denken, dass der Islam eine Bedrohung ist. Ich spüre das auch am eigenen Leibe." Das führe dazu, dass junge und verblendete Menschen Dschihadisten, die vor allem politische Ziele hätten, in die Hände fallen.
Die Zahl gewaltbereiter Salafisten hat in den letzten Monaten zugenommen. 330 zählt der Verfassungsschutz mittlerweile in Berlin. Rund 80 sollen schon in die Kriegsgebiete ausgereist sein. Warum? Die jungen Leute seien oft einsam, erführen keine Liebe, meint Cingiz aus der Vätergruppe. Wenn dann Prediger kämen, die sagen "du kriegst von uns Liebe, du kriegst von uns Geld", dann seien die leicht zu ködern. Das jungen Leuten auf offener Straße Geld geboten, um sie für den Dschihad anzuwerben, scheint mehr zu sein, als ein Gerücht. Auch Vater Zeki bestätigt, dass er davon schon gehört hat: "4000 bis 10.000 Euro werden denen angeblich angeboten". Für diese Summe seien Kinder aus sozial schwachen Strukturen – etwa aus Hartz IV-Familien – oft bereit, in den Krieg zu ziehen.
Zunächst sei das für die Jungs, als würden sie gegen Bezahlung an einem Computer-Ballerspiel teilnehmen, ergänzt Ferhaz, der ebenfalls Mitglied der Vätergruppe ist. "Wenn sie dann wieder zurückkommen, haben sie einen Schock fürs Leben." Übrigens scheint sich die Bezahlung – nach dem, was die Väter hören - ziemlich exakt nach den von den Salafisten so sehr kritisierten kapitalistischen Prinzipien zu richten. "Manche bekommen 10.000 Euro, wenn sie dort sind", weiß Cingiz, "manche kriegen nur 1000." Die Höhe des Soldes komme immer auf die Ranghöhe und die Art der Tätigkeit an.
All das macht den Vätern große Sorgen - auch wenn keins ihrer Kinder bisher konkret betroffen ist. Der Psychologe Kazim Erdogan, der die Vätergruppe betreut, kann seinen Klienten im Umgang mit ihren Kindern nur eines raten: "Kommunikation! Reden Sie mit ihren Kindern! Fragen Sie nach! Was wird in der Moschee, in den Koranschulen erzählt? Was sagen die Imame? Mit wem ist Ihr Sohn, ihre Tochter unterwegs?" Nur so lässt sich ein möglichst großer Schutz der Jugendlichen vor dschihadistischen Rattenfängern erreichen. Und also Leben retten!